Zwischen Berlin und der Hölle

Freitag, 24. April 2015

Heute vor 100 Jahren begannen die türkischen Nationalisten, unterstützt von eigens dazu aufgerüsteten kurdischen Stammesmilizen, mit der systematischen Enteignung und Tötung ihrer armenischen Mitbürger. Bis zum Progrom von Smyrna im Jahre 1922 fielen mehr als 1,5 Mio. Armenier dem Völkermord zum Opfer. An ihrem Vermögen, ihren Häusern und Äckern bereicherten sich ihre muslimischen Nachbarn, Kirchen und Klöster wurden zerstört. Tausende Kinder und Frauen wurden zudem in türkischen oder kurdischen Haushalten verskavt bzw. verheiratet. Alle Zeugnisse armenischer Kultur im Osmanischen Reich sollten ausgelöscht werden, so als hätte dieses Volk nie existiert. In der Wissenschaft ist der Genozid an den Armeniern unbestritten – nicht so in der Welt der Politik. Dieser skandalöse Zustand verlängert das Leiden der Armenier bis heute.
Das Deutsche Reich sah als Verbündeter bestenfalls teilnahmslos zu: Das Auswärtige Amt dokumentierte die Vorfälle – und hielt alles sorgsam unter Verschluss. Diese Haltung hat Deutschland bis heute bewahrt: 2012 lehnte es die Bundeskanzlerin ab, die Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe zu stellen. Das Ganze ginge Deutschland nichts an und müsse zwischen Armenien und der Türkei geklärt werden. Und das, obwohl sie sonst immer darauf brennt „Verantwortung in der Welt zu übernehmen“. Doch Verantwortung übernimmt man nur gern, wenn etwas dabei heraus springt ...
Botschafter anderer europäischer Staaten und der USA setzten sich zwar für die Rettung der Armenier ein, vergaßen sie jedoch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ganz schnell über ihren realpolitischen Strategien. Der Genozid an den Armenieren wurde zwar von der UN als völkerrechtliches Verbrechen eingestuft, aber da man die Türkei stets irgendwie als Bündnispartner, Kriegsverbündeten, Absatzmarkt, Handelspartner oder Vermittler zu brauchen glaubt, wurde sie nie ernsthaft zur Rechenschaft gezogen. So ist es möglich, dass der türkische Staat nun schon seit 100 Jahren die Tatsache verdrängt, dass seine Fundamente auf Leichenbergen ruhen. In der Türkei ist es verboten, vom Genozid an den Armeniern zu sprechen, aber auch im Rest der Welt versucht sie unermüdlich ihre Version der Geschichte durchzusetzen. Selbst deutsche Schulen (Ohnehin steht in Deutschland der Armenozid nur in Brandenburg auf dem Lehrplan ...) und Stadttheater entkommen nicht der türkischen Zensur.
Die seit 100 Jahren widergekäuten türkischen Ausflüchte habe ich keine Lust hier wiederzugeben, in der unten verlinkten Dokumentation „Aghet – ein Völkermord“ und in der auf die Erstausstrahlung folgenden Diskussionsrunde erhalten sie genügend Raum. Nach der Ausstrahlung des Filmes sah sich die ARD ob der Anwürfe türkischer Privatpersonen und Organisationen sogar zur Veröffentlichung einer Erklärung genötigt, die den Sachverhalt bündig auf den Punkt bringt und daher für alle, die nicht in Brandenburg in die Schule gegangen sind, ein guter Einstieg ins Thema sein kann.
Weitersehen:
Aghet – ein Völkermord Dokumentarfilm, Deutschland 2010, bei vimeo.com
Weiterlesen:
aghet1915.wordpress.com, www.bpb.de, arte.tv
www.tagesspiegel.de: Große Koalition will sich nicht mit Erdogan anlegen, 01.04.2015
Auswahl Archivmaterial:
www.armenocide.de (Deutschland, Dänemark, Türkei), www.armenian-genocide.org (USA, England), www.armenica.org (Schweden), www.armenianfilm.org (Zeitzeugeninterviews)
www.genocide-museum.am und zoryaninstitute.org (private Sammlungen)

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